FAQ 4

Schadet der Bewuchs mit einer selbstklimmenden Kletterpflanze (meist Efeu, Wilder Wein, Campsis) meinem Dach?

Antwort 1

Ausnahmen bestätigen die Regel…

Immer wieder sieht man malerisch völlig bewachsene Häuser. Selbst die schäbigste Hütte entwickelt eindrucksvoll romantischen Flair, wenn sie (fast) vollständig unter dem herbstlich gefärbten Laub eines Wilden Weines oder dem Immergrün eines Efeupolsters verschwindet. Auch die phantastische Blüte einer Campsis (Trompetenwinde) ziert – vor allem in südlicheren Regionen – manches Dach so, dass man zur Nachahmung versucht wird.
Aber oft zeigt bereits ein oberflächlicher Blick aus der Nähe, dass diese Form der Dachbegrünung doch eher unprofessionell ist und sehr häufig deutlich sichtbaren Nachteilen, Schadensrisiken und oft auch erkennbar vorliegenden Beschädigungen im Dachbereich einhergeht. Die Mängelhäufigkeit der Dachbegrünung mit Direktbewuchs ist unstrittig sehr viel höher als bei vergleichbaren Fassadenbegrünungen. Einige der diesbezüglich relevanten Schadensmechanismen treten allerdings auch bei Fassadenbegrünungen auf, die vor bekleideten Fassaden (VHF) durchgeführt wurden und/oder nicht rechtzeitig an der Ausweitung auf den Dachbereich gehindert werden.

Andererseits gibt es immer wieder Berichte über bereits länger- oder langfristig exisitierenden Dachbewuchs mit selbstklimmenden Kletterpflanzen, in denen glaubhaft Problemlosigkeit der Maßnahme dargestellt wird. Ich selbst kenne derartige Fälle. Bei diesen liegen aber immer begünstigende Voraussetzungen vor, die teilweise eher ungewöhnlich sind. Zum Beispiel ist eines der schadlos (hier mit Wildem Wein) bewachsenen Dächer steil und mit Wellplatten gedeckt, ein anderes hat keine Dachenwässerung und in Mörtel verlegte Randziegel.

Im Folgenden will ich die mir bisher auffälligen Schadensmechanismen darstellen:

Auf welchem Weg erklettern Selbstklimmer ein Dach?

Ehe man sich mit Details der Wirkungen auf Dachdeckungen auseinandersetzt, stellt sich die Frage, wie ein Bewuchs überhaupt auf das Dach kommt. Prinzipiell gibt es zwei (drei) Möglichkeiten:

Giebelseitiger oder (und) traufseitiger Aufstieg.

Erfolgt ein Dachbewuchs nur von der Gielbelseite aus, muß er i.d.R. einen mehr oder weniger großen Dachüberstand überwinden. Oft wird dieser erst einmal unterseitig ziemlich vollflächig bewachsen, ehe eine selbstklimmende Pflanze in hellere Bereiche vorstößt. Dabei findet sie dann i.d.R. weitere Kanten im Bereich des Ortganges (meist Unterkanten der Ortgangziegel) vor. I.d.R. folgt sie deren Schatten und häufig entwickelt sich zuerst ein Leittreib, der giebelseitig unterhalb der Ortgangziegel emporwächst. Häufig entspringt daraus ein Großteil des späteren Dachbewuchses. Beim Wildem Wein bilden jene Seitentriebe, die nicht auf das Dach finden, an dieser Stelle häufig einen herabhängenden Vorhang.
Diese Form der „Dachbesteigung“ ist (Dichtigkeit aller Anschlüsse vorausgesetzt) relativ harmlos. Ein gewisses Risiko besteht (je nach Dachdeckung) allerdings hinsichtlich Sogkräften, die Starkwind aus Richtung des Daches verursacht. Das gilt insbesondere für aufliegende Ortgangziegel.
Traufseitig ist das Erklimmen eines Daches i.d.R. mit der Überwindung einer Regenrinnen verbunden. In den meisten Fällen zwängen sich Selbstklimmer irgendwo hinter der Dachrinne hindurch – der „helle“ Umweg über die Vorderseite ist ungewöhnlich, bzw. meist erst im Nachgang der Eroberung des Daches zu beobachten.
Die Überwindung von Traufe (Traufüberstand) und Dachentwässerung durch Selbstklimmer ist sehr häufig mit baldiger Funktionsbeeinträchtigung letzterer verbunden. Selbst wenn noch keine Deformationen (angehobene Traufbleche und oder Dachziegel oder verbogene Rinnen) feststellbar sind, fließt häufiger Regenwasser entlang der Pflanzen in Richtung Fassade. Dieser Effekt kann den Schlagregenschutz, den ein vorhandener Fassadenbewuchs bietet, mindern oder sogar völlig zunichte machen. Diese Umleitung von Niederschlägen oder Tauwasser kann also (in Verbindung mit verlangsamter Abtrocknung) u.U. zu feuchten Wänden führen. Im Winter können sich dadurch auch außergewöhnliche (extrem hohe) Eislasten an Fassadenbegrünungen bilden.

Oben angekommen – Bewuchs und Dacheindeckung

Prinzipiell gilt für das direkt bewachsene Dach das Gleiche, wie für jede entsprechend begrünte Fassade: Risse und vor allem alle Arten von Fugen bereiten mit hoher Wahrscheinlichkeit irgendwann Verdruss. Dieser wird um so schneller eintreten, wie es dem Bewuchs gelingt, Undichtigkeiten zu herzustellen oder zu vergrößern. Je weniger Fugen und je dichtere Fugen ein Dach aufweist, desto eher wird es einen Direktbewuchs vertragen. Die Deckung des Daches, die wiederum mit der Dachneigung zu tun hat, ist daher ein wichtiges Kriterium für das potenzielle Schadensrisiko.

Je flacher desto dichter – aber keineswegs risikoloser!

Ganz flache Dächer sind mit einer durchgehenden (fugenlosen) Dichtung versehen, da Wasser nicht durch Gefälle ausreichend abgeleitet wird. Mit selbstklimmendem Bewuchs solcher Dächer (z.B. mit bituminöser Dichtung) habe ich bisher keine Erfahrungen sammeln können und kann diesbezüglich nur ein paar Vermutungen anstellen:

  • Auf absandenenden oder blechbekleideten Flachdächern finden Selbstklimmer anfangs nur bedingt Halt. Es kann sein, dass der Bewuchs regelmäßig vom Wind teilweise zurückgedrängt wird.
  • Breiten sich Selbstklimmer über eine Flachdachfläche aus, behindert dies die Abtrocknung und bewirkt ggf. Wasseranstauten.
  • Jeder Eintrag von Staub, Laub usw. auf das Dach bleibt (mehr oder weniger dauerfeucht) auf der Dachfläche liegen und ermöglicht irgendwann die Bildung von Nährstoffwurzeln. In diesem Fall ist es vor allen eine Frage der Wurzelfestigkeit der Dachdichtung wann und ob Schäden auftreten. Das gilt auch für den Wilden Wein. Obwohl er kein Haftwurzelkletterer ist, bildet er unter geeigneten Bedingungen zahlreiche sprossbürtige Wurzeln aus!

Das Dach mit geringer Neigung wird häufig mit großformatigen Platten gedeckt – z.B. „Welleternit“ oder (Trapez)Blechen. Hier wirken sich Rückstau und Ablagerungen häufig schon nach wenigen Jahren eindeutig nachteilig aus. Sie konzentrieren sich in den Sicken („Tälern“) der Profilierung und es kommt schnell zu beachtenswerter Wurzelbildung. Vorzugsweise seitliche Überlappungen werden durch Wurzeln unterwachsen und es entstehen Undichtigkeiten, durch die Nässe eindringt. In einem fortgeschrittenen Stadium können durch einwachsende Triebe sogar Spannungen aufgebaut werden, die spröde Platten reißen lassen.

Steilere Dächer sind meist mit kleinformatigen Ziegeln oder (Beton)Dachsteinen gedeckt. Hier ist vor allem die Form entscheidend, wann und ob es zu Anhebungen oder Verschiebungen kommt. Das Gewicht spielt keine beachtenswerte Rolle.
Das Gefälle steilerer Dächer sorgt dafür, dass Wasseranstau so gut wie ausgeschlossen ist – das steilere Dach ist also naturgemäß trockener. Daher dringen sehr viel seltener Wurzeln, als vielmehr lichtfliehende Triebe in die Überlappungsbereiche der Dachdeckung ein. Je passgenauer diese aufeinander liegt, desto geringer ist dieses Risiko, denn im Vergleich zu Wurzelspitzen sind Triebspitzen eher dick. Sind allerdings bei einem Ziegeldach Ritzen vorhanden, durch die eine Triebspitze mühelos wachsen kann, dann ist das Risiko des Unterwachsens groß.
In der Literatur – vor allem aber Broschüren, die für Fassadenbegrünung werben – stößt man immer auf die Einschätzung, dass ein Unterwachsen von Dachziegeln harmlos ist, weil die Triebe unter Lichmangel absterben. Manche Triebe scheinen aber den Lichtmangel (sofern er überhaupt vorherrscht) nicht so schnell zu bemerken, dass er sie zuverlässig rechtzeitig umbringt ….
Längst nicht alle Gebäude haben ein Dach, unter dessen Deckung tatsächlich solche Dunkelheit herrscht, dass in diesem Bereich jedes pflanzliche Leben abstirbt. Sehr häufig findet man unter Dächern Triebe von Kletterpflanzen, die etliche Meter lang sind. Unter wirksamem Lichtabschluss ist ihre Länge vor allem abhängig von der Wuchsstärke der Pflanze und jeder verfügbare Lichtstrahl macht sie vitaler.

Auf einem großen Dachboden mit etwas undichter Verbretterung unter einer Ziegeldeckung reichten z.B. kleine verglaste Dachausstiege ca. alle 6 m, um ein recht dichtes bodendeckendes Efeupolster am Leben zu halten. In diesem Fall hatte der Efeu das Dach von Norden her erklommen und spross eines Tages frisch und munter aus der südlichen Dachhälfte wieder hinaus. Der gesamte Speicherboden war zu diesem Zeitpunkt mit einer klebrigen Schicht aus Exkrementen von Blättläusen bedeckt.
Es trifft also zwar zu, dass Lichtmangel dem Unter- und Hinterwachsen jeglicher Dachdeckung oder Bekleidung (an Fassaden) irgenwann stoppt, aber allzu hohe Erwartungen an die Verlässlichkeit dieses Mechanismus sollten nicht allgemein geweckt werden. Oft ist es mit dem Lichtmangel nicht so weit her und außerdem gilt:

Wo ein Eingang ist, findet sich auch wieder ein Ausgang!

Eine Dachdeckung, die von den Triebspitzen der Selbstklimmer (oder auch anderen Kletterpflanzen) unterwachsen wird, weist wie schon vorstehend beschrieben Ritzen einer gewissen Dicke auf. Diese haben ihre Ursache i.d.R. in der Form von Dachziegeln. Relevant ist die Ausformung der Überlappungsbereiche und ggf. die Fertigungsqualität. Historische Dachziegel sind vielfach derart wenig wind- und lichtdicht, dass sie praktisch kaum einen Schutz vor Unterwachsung bieten. Aber auch eine unfachmännische Verlegung – ggf. nur um Anschlüsse (Dachfenster, Gauben) herum, kann Probleme verursachen. In solchen Fällen ist (auch ohne Dachfenster) der Lichtmangel nicht gewährleistet und vielfach wachsen die Triebe auch wieder unter der Deckung hervor. In diesem Fall ist es nur eine Frage der Zeit, wann sie Ziegel abheben, bzw. so verschieben, dass es zu Undichtigkeiten kommen kann.

Und nun? Wie soll ich mich entscheiden?

Diese Frage kann und will ich nicht beantworten. Die vorstehenden Ausführungen sollten ausreichen, um eine individuelle und situativ angemessene Entscheidung treffen zu können. Je höher das Risiko einzuschätzen ist, dass die Funktion eines Daches leidet, desto mehr Kontroll- und Pflegeaufwand ist zu erwarten und um so höher sind die potenziellen Schäden bei Vernachlässigung. Diese allerdings hängen auch davon ab, welche Wert unter dem Dach versammelt sind.
Ein alter Schuppen in dem bestenfalls ein wenig wertloses Gerümpel gelagert ist, zwingt nicht unbedingt zu aufwändiger Kontrolle…. Auch ein schäbiges Garagendach zwingt nicht unbedingt zum Verzicht auf „Zuwachsen lassen“, denn selbst wenn ein teures Luxusauto darin stünde, würde es i.d.R. nicht gleich beschädigt, wenn das Dach undicht würde. Es bricht i.d.R. wegen einem Bewuchs nicht von heute auf morgen zusammen….

Obwohl ich persönlich die Sache eher skeptisch sehe und den Anteil tatsächlich mangelfrei (= kein aktuell erkennbarer Nachteil) direkt bewachsener Dächer auf maximal 15% schätze, will ich hier niemandem zu- oder abraten. Dazu sind die Voraussetzungen schlichtweg zu unterschiedlich.

Ich empfehle aber jedem, der sich hinsichtlich eines selbstklimmenden Bewuchses seines Hausdaches entscheiden will (oder muss) den Kontroll- und Pflegeaufwand nicht zu unterschätzen. Auch sollte berücksichtigt werden, dass manches, was heute noch als unerhebliche Belastung empfunden wird, sich in Zukunft anders darstellen kann (z.B. wegen Wegzug, Haus vermieten, keine Zeit mehr, Alter/Gebrechen).
Solche Entwicklungen führen in der Praxis immer wieder dazu, dass ein Dachbewuchs (ggf. auch der darunter befindliche Fassadenbewuchs) entfernt werden muss. Das ist meist selbst schon mit erheblichem Aufwand verbunden und häufig wird danach eine umfassende Sanierung erforderlich.