Wintergewichte

Fortsetzung Teil I – Vertikallasten
bei Fassadenbegrünungen mit Kletterpflanzen

1.2. Wenn der „grüne Mantel“ friert …

Gewichtsabschätzungen für Fassadenbegrünungen im Winter

Für laubabwerfenden Bewuchs bietet die Bemessung nach dem Zustand sommerlicher Durchnässung (vgl. Teil 1.1) bereits ein gewisses Maß Sicherheit. Volle Belaubung und Schnee- oder Eislasten werden bei den meisten sommergrünen Arten unter normalen Witterungsbedingungen nicht gleichzeitig auftreten. Als mögliche Ausnahme möchte ich Akebia (windergrün), einige früh austreibende Arten von Clematis und Lonicera (Geißblatt) sowie alle sehr eng verzweigten und/oder ungepflegt „verfilzte“ und weit überhängende bzw. auskragende Kletterpflanzen anführen.
Selbstverständlich sind insbesondere Schneeablagerungen auf immergrünen Kletterpflanzen prinzipiell wahrscheinlicher als auf laubabwerfenden, aber auch bei diesen reduziert sich deren Größe erheblich wenn der Bewuchs ein vorderseitig ebenes, senkrechtes Polster bildet. In diesem Fall verhindert die schindelartig angeordnete Belaubung die Bildung beachtenswerter Schneeablagerungen.

Schnee – Kletterpflanzen weiß gepudert
Beobachtungen in der Praxis lassen darauf schließen, dass vor allem Schneelasten für Begrünungen von Fassaden kein sehr wahrscheinlicher und gleichzeitig relevanter relevanter Lastfall sind. Vor allem auf laublosem Bewuchs lassen sich im Normalfall keine nennenswerten Schnee- oder Eisablagerungen feststellen.
Ursächlich mögen der „Regenschatten“ des Gebäudes, die geringe Auflagefläche an Pflanzen und Kletterhilfen und die besonderen Strömungsverhältnisse an Fassaden (bzw, Gebäuden) sein. Bei Altbauten dürfte auch deren Wärmeabstrahlung zur zusätzlichen Minderung von Schnee- und Eisablagerungen auf Kletterpflanzen führen. Scheinbar aus den gleichen Gründen haben Schneeablagerungen – egal ob Pulver. oder Nassschnee – auf Fassadenbegrünungen kaum Bestand.

Beide Aufnahmen nach Fall von 15 cm feuchtem Neuschnee

Fassadenbegrünung - Schnee auf einer vertikalen Kletterhilfe und zurückgeschnittener Kletterpflanze (Ostfassade)Abb. 3
Bewuchs lauabwerfend; Ostfassade

Fassadenbegrünung, Schnee auf einer Kletterhilfe mit oben überhängenden wintergrünen Bewuchs (Westfassade)Abb. 4
Bewuchs immergrün, Westfassade

Auch die Schneeauflagen auf immergrünen Pflanzen und den oben bezeichneten „kritischen“ Arten an Fassaden – also flächig senkrecht wachsend – erreichen bei weitem keine dem Niederschlag entsprechenden Volumen. Die auf Fassadenbegrünungen üblicherweise abgelagerten Schneemengen sind auch hier im allgemeinen eher minimal.

Die kritischsten Punkte für Schneeablagerungen sind – auch bei laubabwerfendem Fassadenbewuchs – die Oberkanten und eventuelle Aufdickungen des Pflanzenpolsters. Die in der Tabelle „Bemesungsdaten“ angegebene Polsterdicke gibt artspezifisch Hinweise auf übliche Tiefen möglicher derartiger Auflageflächen.

Legt man ein spezifisches Gewicht von Schnee i.H.v. 2,00 kN/m3 zugrunde, dann entspräche das vorangehend festgelegte und berücksichtigte Laubgewicht (nass 45 N/m²) einem geschlossenen 2,25 cm dicken Schneeüberzug der gesamten Begrünung. Bezogen auf alle vertikal an Fassaden aufstrebenden sommergrünen Kletterpflanzen ist eine solche Zusatzlast unwahrscheinlich. Daraus folgert, dass Schneelasten auf fachgerecht geschnittenen laubabwerfenden Kletterpflanzen üblicheerweise vernachlässigt werden können, da sie zu einem geringeren Gewicht als im tropfnassen belaubtem Zustand (Sommergewicht) führen.

Fassadenbegrünung - starkwüchsige laubabwerfende Kletterpflanze an horizontaler Kletterhilfe
Abb. 5 Schnee auf linear horizontal geleiteter Kletterpflanze (15 cm Neuschnee)
Diese Überlegungen anhand individueller Beobachtungen sollen allerdings niemanden davon abhalten, situationsgerecht nach eigenem Ermessen Schneelasten zu berücksichtigen. Sinnvoll erscheint dies vor allem für Höhenlagen ab 600 m über NN oder für bekannt kalte und schneereiche Gegenden.
In diesen Fällen empfehle ich jedoch, statt der m.E. eher unerheblichen Zusatzbelastung durch eventuelle Schneeauflagen den potenziellen Eislasten besondert Aufmerksamkeit zu widmen.

Eislast auf Pflanzen?
Aufgrund der sehr variablen Wuchsformen und Erscheinungsbilder von Kletterpflanzen fällt es schwer, sinnvolle Vorgaben zur Ermittlung von Eislasten zu machen. Während ich mir aufgrund Beobachtungen in etwa ein
Bild von wahrscheinlichen Schneelasten machen kann, fehlt mir jegliche Erfahrung mit direkt witterungsbedingt vereisten Kletterpflanzen.
Ich habe derartiges noch nicht gesehen, was aber nicht heissen soll, dass es das nicht gibt. Immerhin sieht man immer wieder mal freistehende Pflanzen, die ringsum dick bereift oder auch vereist sind. Dieses – speziell bei Sonnenschein optisch anprechende – Phänomen beobachte ich auch in meinem direktem Umfeld immer wieder. Seltsamerweise betrifft es hier weder Kletterpflanzen noch Kletterhilfen (aus GFK) an Häusern. Auf freistehenden Klettergerüsten und Kletterpflanzen an solchen oder in Gehölzen, sind jedoch bei , noch bereGehölze (

Mein Kollege Sven Taraba hat auf seiner Webseite „Rankgerüste aus Drahtseil“ ein Bild (Foto 4) aus dem Winter 1978/79 in Leipzig. Es zeigt massiv eisbehangenen Fassadenbewuchs. Allerdings habe ich den Verdacht, dass es sich dabei um Eiszapfenbildung aufgrund defekter oder fehlender Dachentwässerungen (Dachrinnen) handelt. Selbstverständlich können sich auf Traufseiten von Giebeldächern aus Tauwasser -­ also indirekt von Niederschlägen verursacht -­ Eisablagerungen in der Begrünung entwickeln. Ggf. geht hiervon eine ähnliche -­ aber m.E doch eher geringere -­ Gefährdung für Passanten aus, als von Eiszapfen an Dachrinnen oder Balkonen. In jedem Fall derartigem Fall ist der Hausbesitzer zur Gefahrenabwehr verpflichtet.

Vereiste Kletterhilfen ?
Vereinfacht kann nach DIN 1055 Teil 5 ein allseitiger Eisbelag von 3 cm Dickefür alle der Witterung ausgesetzten Bauteile angenommen werden. Ich wähle beispielhaft eine Stahlgitterkonstruktion aus 6 mm starkem Draht mit Gitterweite 10 cm x 10 cm, 5 m hoch und 1 m breit. Das entspräche 106 m Draht, also rund 0,24 kN Eigengewicht. Die Eislast (Dichte = 7 kN//m3) betrüge in diesem Fall rund 0,25 kN. Das Gewicht der Kletterhilfe alleine würde sich in diesem Fall durch Vereisung also etwa verdoppeln.

Angesichts dieses Wertes und weiterer Überlegungen müssen einigermaßen realistische Annahmen getroffen werden. Ich wähle dazu den halbwegs wahrscheinlichen Fall eines längeren Niederschlags (Regen/Nebel)
bei Frost und Wind mit einer Niederschlagsmenge von 20 mm. Diese würde auf ausreichend kaltem Boden zu einer annähernd 3 cm dicken Eisschicht gefrieren.
Für die Fassadenbegrünung gehe ich davon aus, dass – selbst wenn Wind ihr den Niederschlag waagerecht zuführen würde -mindestens 50% abtropfen, verblieben maximal 10 Liter Wasser als Eis (0.1 kN) in einem m² Bewuchs und der Kletterhilfe. Ich bin mir ziemlich sicher, dass damit bereits ein sehr seltener (äußerst unwahrscheinlicher) Fall beschrieben ist. Natürlich bewahrt so eine Annahme nicht vor dem Auftreten irgendwelcher Extreme und deren Folgen und selbstverständlich bleibt es jedem überlassen, mit höheren Sicherheiten zu arbeiten.

Den Pflegeaspekt lasse ich sowohl hinsichtlich der Schnee- auch auch der Eislasten unberücksichtigt. Viele Arten verlangen Schnittmaßnahmen zur Förderung von Blüten- oder Fruchtbildung, die ganz oder teilweise gegen Ende der Vegetationsperiode (Herbst) erfolgen sollten. Andere Arten sehen im Winter nach Rückschnitt und Entfernung von Totholz einfach besser aus. Alle regelmäßig einigermaßen kompetent geschnittenen Kletterpflanzen kahlen weniger auf und entwickeln sich vitaler.
Schnittmaßnahmen empfehlen sich also einerseits aus optischen Gründen, andererseits auch zur Reduzierung winterlicher Zusatzlasten. Außerdem gebietet der Brandschutz eigentlich (auch wenn der in der Praxis nicht beachtet wird) derartige Schnittmaßnauhmen.

Auch Abb. 3 verdeutlicht, dass sich auf einer halbwegs ordentlich geschnittenen Pflanze nur ein kleiner Teil der Niederschläge ablagern kann. Abb 4. zeigt, dass rechtzeitiges Schneiden des Überhanges die Schneelast erheblich reduziert hätte.

Nach örtlichen Bedingungen entscheiden!
Ich empfehle aufgrund dieser Überlegungen, für sommergrüne Fassadenbegrünungen vor allem an besonders gefährdeten Standorten, d.h. exponierte Lage in über 400 m Höhe über NN oder in direkter Nähe von Gewässern (Nebelgebiet) diese 0,1 kN/m² Eislast zu berücksichtigen. Diese Zusatzlast ist ­ wie das Laubgewicht ­ auf die
gesamte Oberfläche der Begrünung zu beziehen. Eine Verrechnung mit dem Laubgewicht (pauschal 0,045 kN/m², bzw. 0,015 kN/m² multipliziert mit dem artspezifischen „Laubstrukturfaktor“ halte ich allgemein für
zulässig. Damit ist m.E. gleichzeitig Schnee- und Eislasten unter den jeweils beschriebenen Voraussetzungen ausreichend Rechnung getragen.
Abminderung des Wertes aufgrund einer zugesicherten „Pflegeabsicht“ ist nach meinen praktischen Erfahrungen nicht prinzipiell zu verantworten. Leider gilt in der Praxis der Fassadenbegrünung allgemein immer noch: Je höher, desto ungepflegter!

Zusammenfassung Teile 1.1 und 1.2
Die Tatsache, dass einige Faktoren, die das Gewicht kletternder Pflanzen bestimmen oder beeinflussen (z.B. die Wasserablagerung auf Blättern), noch sehr unbestimmt sind, zwingt aktuell zur Berücksichtigung relativ
hoher Sicherheiten. Es ist jedoch hier nicht angestrebt, wissenschaftlich exakt das reale Gewicht von Kletterpflanzen unter bestimmten Bedingungen zu ermitteln. Vielmehr wurde dieses Berechnungsmodell entwickelt, um auf der Basis derzeitiger Kenntnisse die Pflanzenauswahl bzw. die sichere Dimensionierungen für Kletterhilfen und Befestigungsmittel zu unterstützen. Die u.U. fiktive Addition verschiedener Lasteinflüsse führt zu sicheren Absolutwerten, die vielleicht auf den ersten Blick hoch erscheinen. Es geht aber nicht darum, die Statik von Fassadenbegrünungen „schön zu rechnen“, sondern um realistische Beurteilung der potenziell auftretenden Lasten zur Vermeidung von Mängeln oder Schäden.

Dazu wurden erstmals die verschiedenen Arten unter Heranziehung der selben Bezugsgrößen miteinander verglichen. Wuchshöhe, Triebdurchmesser und Wüchsigkeit der Arten sind durch Beobachtungen in Wissenschaft und Praxis einigermaßen abgesichert. Sie wurden großteils der „Richtlinie zur Planung, Ausführung und Pflege von Fassadenbegrünungen mit Kletterpflanzen“ (FLL, 1995) entnommen. So ergibt sich ein objektiver Vergleich verschiedener Kletterpflanzen, der hilfreich für Dimensionierungen ist. Er gibt jedoch keinen Aufschluß über Flächengewichte! Die Verteilung des Holzgewichtes als teilweise wesentlicher Gewichtsanteil kann nicht konkret vorhergesehen werden!

Es wird jedoch offensichtlich, dass die Mehrzahl der kletternden Arten – zumindest aufgrund ihres Gewichtes – fast überall problemlos zum Einsatz gelangen kann. Viele Arten weisen derart geringe Gewichte auf, dass dieser Aspekt als unerheblich angesehen werden kann. Bei anderen ist dies nicht der Fall. ­Wie eingangs getitelt: Elfen und Elefanten!